Cuba libre in Benidorm

Cuba libre ExpressMein erster veröffentlichter Roman, zuerst als Fischer Taschenbuch in der Reihe Werkkreis Literatur der Arbeitswelt 1977 erschienen, dann in 2. Auflage 1983 als Reprint im Verlag EXpress Edition, Berlin (West). Es ist inzwischen ein Klassiker der literarischen Tourismuskritik und mein meistgelesenes Buch. Ich konnte beim Schreiben auf authentisches Material  aus der Beschwerdeabteilung eines großen Frankfurter Touristikkonzerns zurückgreifen. Ich mußte nicht mal die Hauptfigur, den Reise-Inspektor Richard Watzel, erfinden, denn  den hatte vorher der Pressesprecher des Unternehmens installiert – freilich nur als Alibi-Person, um allzu neugierigen Journalisten etwas vorweisen zu können. Da ich drei Jahre selbst in dem Unternehmen gearbeitet habe, konnte ich aus dem Innenleben  eines Reisekonzerns erzählen. Der Roman ist auch ein Geheimtip unter Reiseleitern, von denen ich einige porträtiert habe.
Das Buch ist nur noch antiquarisch oder bei mir direkt erhältlich. (2 €)

Rezensionen:

Doppelbuchungen, halbfertige Hotels
Zentralfigur dieses Schlüsselromans der Touristikindustrie ist der ausrangierte Reiseinspektor Richard Watzel. Das Reiseunternehmen des Quarz-Konzerns hat den Pensionär Watzel, gegen Spesenerstattung, als Feigenblatt engagiert: ein Harun el Raschid zum Vorzeigen, ein Kontrolleur, der keineswegs helfen soll, entdeckte Mängel abzustellen, sondern nur zur Besänftigung der Kunden und der Presse dient … Bergmann führt vor, wie derlei Karrieren vonstatten gehen (oder auch nicht) – wie er überhaupt das Funktionieren des ganzen Systems vorführt, vom Vorzimmer bis ins Allerheiligste der Chefetage, von der Zentrale daheim bis zum Ablauf vor Ort, in Benidorm, Teneriffa oder Kenia. Der nüchterne, aber nicht trockene Text ist mit Fotos (des Autors) illustriert, welche die Unwirtlichkeit vieler Ziele des Massentourismus mindestens ebenso stark belegen wie die in Kundenbriefen eingebrachten Mängelrügen, die sich über Doppelbuchungen, unfertige Hotels, Lärm, Dreck, mangelnden Komfort und schlechten Service anstelle der in den Prospekten versprochenen paradiesischen Zustände beklagen.
Auf diese Weise zeichnet Bergmannn ein zwar überspitztes, im ganzen aber gewiß zutreffendes, deprimierendes Bild von den Zuständen in den Touristikbetrieben wie an den Urlaubsorten…
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, Seite 20, 24. August 1977)

“Sondern… jemand zu eigenen Gedanken anregen”
Der Roman “Cuba libre in Benidorm” thematisiert die Ferienreise als eine Ware, die mit Profit verkauft werden soll. Der Roman einer bestimmten Branche also. Ein marktbeherrschendes Touristikunternehmen und seine Praktiken in der Zentrale wie vor Ort, sei es auf Teneriffa, in Benidorm oder einem Ort in Afrika. Der Autor war längere Zeit Angestellter eines solchen Unternehmens, offenbar in der Beschwerdeabteilung. Und das macht sich angenehm bemerkbar. In seinem Roman spielen Rationalisierungsvorgänge und -kämpfe in der Zentrale eine ebenso große Rolle wie der Umgang mit der Kundschaft, den Touristen.
Interessant der Einfall, mit dem Bergmann unaufdringlich eine Art Handlung in seine stark zum Zuständlichen, zu der scheinbar zu anonymen Prozessen tendierenden Darstellung einbringt. Der gewitzte Pressesprecher des Unternehmens hat, nur gegen Spesen, den Rentner Richard Watzel als sogenannten Reiseinspektor engagiert… Richard Watzel durchschaut das Spiel. Es kommt dabei geradezu Krimispannung auf. Der Roman bietet den Lesern mit dem allem keine vorgefertigten Urteile, sondern den Stoff dazu, selbst nachzudenken. Die Story verliert sich schliesslich sozusagen in kritisch gestellten Fragen  zur Sache. Der Leser merkt, dass diese ihn direkt angehen, und zwar in seiner Rolle als Tourist wie in seiner Rolle als Arbeitnehmer.
(Tagesanzeiger, Zürich, August 1977)

Sender Freies Berlin (SFB)
“Dichtung und Wahrheit” wäre der bessere Titel gewesen für Rolf Bergmanns Büchlein “Cuba libre in Benidorm”.
Wes Geistes Kind der Autor ist, geht aus den hämischen und gehässigen Aussagen hervor, die er seinen Figuren über ihre Vorgesetzten in den Mund legt. In dieser Branche werden Fehler gemacht, gibt es Praktiken, die ich verurteile, wer aber glaubt, durch dieses Machwerk die Arbeit der Reiseunternehmen kennenzulernen, liegt falsch.
Übel der Titel “Cuba libre in Benidorm”. Preis 5-Mark-80.
(Gesendet am 17. September 1977 im SFB-Reisemagazin/Literatur)

Nachbemerkung zu dieser Kritik: Ein Autor sollte sich der Kritik stellen, sie ertragen und dazu schweigen. So halte ich es. In Ausnahmefällen darf er davon abweichen, und dies ist so eine Ausnahme: “Wes Geistes Kind der Autor ist” – mit diesem Spruch haben die Nazis Bücher verbrannt und die besten Autoren aus Deutschland vertrieben. Bedenkenlos bedient sich dieser Redakteur der Sprache des Dritten Reiches (Victor Klemperer – LTI)! Und sogar der Titel mißfällt ihm “übel” – das versöhnt mich fast mit seiner Rezension, denn es zeigt mir, daß der Titel gut gewählt ist.
Zur Ehrenrettung sei gesagt, daß es in West-Berlin nicht nur Kalte Krieger und verkappte Nazis gab. 15 Jahre später war ich zu einer Lesung aus dem Roman auf der ITB, der Internationalen Tourismus-Börse, eingeladen.

Die Wirklichkeit der Touristenversandkonzerne
Rolf Bergmann, der Autor dieses Schlüsselromans einer ganzen Industrie, kommt aus der Branche. In unterhaltsamer und spannender Form enthüllt er das, was hinter farbenprächtigen Urlaubsprospekten steckt: das Wolfsgesetz des Kapitalismus… Auf verschiedenen Handlungsebenen zeichnet der Autor präzise die Mechanismen in einem marktbeherrschenden Reiseunternehmen. Er zeigt die Welt der Chefetagen ebenso wie die Großraumbüros der kleinen Angestellten und da sind die Reiseleiter am Urlaubsort nur darauf dressiert, die Urlauber durch diverse Zusatzausflüge restlos auszunehmen. Reiseleiter mit Skrupel stehen auf der Abschußliste.
Eigentlicher Held ist der Reiseinspektor Watzel, ein Pensionist, der auf Spesenbasis arbeitet und sich vorgenommen hat, tatsächlich die Interessen der zahlenden Feriengäste zu vertreten. Bald entdeckt er, daß er bloß als Alibi dienen soll…
Vielleicht hilft die Lektüre dieses Buches dem einen oder anderen potentiellen Urlauber der nächsten Saison, die Reiseprospekte vom Kopf auf die Füße zu stellen.
(Österreichische Volkszeitung, Herbst 1977)

Böser Knüller über das Geschäft mit Urlaubern
Die Qualitäten dieses Romans sind wahrhaftig nicht nur thematischer, sondern wesentlich auch sprachlicher und dramaturgischer Natur. Bergmanns Begabung zum sprachlichen Realismus, zum Sagen-wie-die-Dinge-sind, entspricht seine überaus differenzierte Beobachtungsgabe, die menschliche Verhaltensweisen in den feinsten Nuancen registriert, wobei psychologische Hintergründe jeweils bewußt ausgespart bleiben. Bergmann zeigt, wie das läuft – eine Betriebskonferenz, in der einigen Anwesenden der Boden unter den Füßen entzogen wird, das Abwimmeln enttäuschter Urlauber in der “Kundenbetreuung”, das jährliche gigantische Hin- und Herschieben von Menschen…
Zum Schluß macht Watzel Spaziergänge mit Naturfreunden im Spessart, anstatt seinen Cuba libre im spanischen “Fischerdörfchen” Benidorm zu trinken. Sein Lebensraum hat sich mangels jeglicher Möglichkeit, wirksam zu werden, stark eingeengt. Die Handlung versickert, entläßt den Leser in die Realität. Ohnehin ging es um nichts anderes auf diesen 200 Seiten.
(Mannheimer Morgen, Seite 24, 22. August 1977)