Vita

Schriftsteller haben mindestens zwei Leben. Ein reales, das zwischen zwei Aktendeckel paßt, und ein wirkliches, das sich zu einer Bibliothek auswachsen kann. Ich habe es immer gehaßt, einen Lebenslauf schreiben zu müssen, um sich irgendwo zu bewerben. Deshalb werde ich das hier auf meiner eigenen Homepage anders halten, nur einiges mitteilen, das mir wichtig erscheint. Es gibt unumstößliche Fakten: Ich wurde am 4. September 1942 (damit war ich fünf Tage älter als Ted Herold, das war mal wichtig) in Dresden geboren. Kriegskind, das ist eine Prägung, die das ganze Leben bestimmt. Der Vater meistens abwesend, Soldat, Gefangenschaft, auswärts arbeiten, später Scheidung. Die Mutter stets sehr besorgt um mich. Ich war ein Wunschkind. In Dresden aufgewachsen und kaum aus den Ruinen herausgekommen. Schule und Abitur 1961. Das schildere ich ausführlich im Kakadu-Roman. Kurz vor dem Bau der Mauer löste ich eine S-Bahnfahrkarte  von Ostberlin nach Westberlin, ohne Rückfahrt. Es folgte der übliche Weg für Flüchtlinge: Lager Marienfelde, Flug Tempelhof – Hannover, Lager Friedland, Lager Gießen. Ich landete schließlich in Frankfurt am Main.
Allein im Westen, ohne Verwandtschaft, mit dem hochstaplerischen Anspruch, Schriftsteller zu werden. Die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“  waren folgerichtig ein Lieblingsbuch von mir. Zum Glück ahnte ich nicht, welch langen Weg ich gehen mußte. Worüber ich hätte schreiben können, die Kakadu-Bar und eine Jugend in Dresden, das interessierte im Westen nicht. Erst 40 Jahre später war das reizvoll genug. Es gab Uwe Johnson mit „Mutmaßungen über Jacob“, ein kompliziert gebauter Roman, den selbst das Lektorat nicht richtig verstand,  der als Ausweis galt für einen „Dichter der beiden Deutschland“. Damit war es aber genug, mehr wollte man über die DDR nicht wissen. Über den Westen konnte ich nicht schreiben, denn ich war in eine Welt gestolpert, die ich erst mal begreifen mußte. Ich hatte zwar Karl Marx gelesen und fand seine Theorie in der Wirtschaftspraxis bestätigt, aber ich wollte ja keine soziologischen Bücher schreiben, sondern über Menschen, wie sie im Kapitalismus zurechtkommen. Dafür mußte ich erst Erfahrungen sammeln, was sieben Jahre dauerte. In dieser Zeit legte ich in Hanau eine Zusatzprüfung zu meinem „SBZ-Abitur“ ab, um damit studieren zu können. (SBZ war die Abkürzung für „sowjetisch besetzte Zone“). Ich machte eigenartige politische Erfahrungen. Noch im Flüchtlingslager erhielt ich Formulare für den Lastenausgleich, ich sollte dort meine verlorenen Häuser, Grundstücke und Fabriken in  Schlesien angeben – leider hatte ich nichts dergleichen. In der DDR war ich mit 18 volljährig geworden, im Westen mußte man das 21. Lebensjahr vollendet haben. Entmündigt wurde ich nicht (denn es gab ja keinen möglichen “Erziehungsberechtigten”), doch ich war in einer rechtlichen Zwitterstellung. Wählen durfte ich 1961 nicht. Aber auch meine Stimme hätte Adenauer nicht verhindert.
In München studierte ich ab 1962 Germanistik – scheinbar logisch für einen kommenden Schriftsteller. Dennoch war es  das falsche Studium, jedenfalls im universitär konservativem München. Mich hatte vor allem die “Stadt der Künstler” gelockt, vom Geist dieser Stadt versprach ich mir den notwendigen Schub, Anregungen, Freundschaften – es war aber viel Talmi dabei, dazu die fatale Toleranz in Müncher Biergärten: Künstler waren geduldet als “Spinnerte”, wurden nicht ernst genommen. Später las ich es bei Hermann Kesten: “München ist kein Prägestock für Schriftsteller.” Da war ich schon acht Jahre dort und saß zuletzt im „Schwabinger Nest“, einem Café an der Leopoldstraße, in dem sich Künstler trafen und solche wie ich, die sich dafür hielten. Der Qualm der Gaulois war so dicht, daß sich andere Leute gar nicht hereintrauten. Immerhin, in München bekam ich die Anfänge des neuen deutschen Films mit, war mit Kasimir Esser befreundet, einem Filmemacher, der ähnlich erfolglos war wie ich als Literat. 1968 hatte ich meinen ersten Roman „Pierrot“ fertig, einen reinen West-Roman, der nicht das geringste mit der DDR zu tun hatte. Zwei Jahre lang hielt mich der Desch-Verlag hin mit Änderungswünschen,  um ihn dann doch abzulehnen. Ich flüchtete zurück nach Frankfurt am Main, wo es mir gut gegangen war. Ich trat in ein festes Angestelltenverhältnis in der Touristikbranche ein, das war ein entscheidender Wendepunkt in meinem Leben. Was ich in München als Werkstudent mit ständig wechselnden Jobs vom Studenten-Schnelldienst nicht erreicht hatte, nämlich das normale Funktionieren der Gesellschaft zu begreifen, das geschah nun. Meinen Schriftsteller-Traum habe ich dabei keinen Moment aufgegeben. Ich sammelte Material aus der Berufspraxis und schrieb den Roman „Cuba libre in Benidorm“, der 1977 als Werkkreis-Band im Fischer Taschenbuch Verlag erschien. Vorher war ich aus der Firma ausgeschieden (sonst wäre ich sicher fristlos gefeuert worden),  ich hatte ja Firmeninternes ausgeplaudert. Ich wurde Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS), was ich jedem Schreibenden empfehle, um nicht allein zu sein bei juristischen Auseinandersetzungen. Immerhin mußte ich mit einer Klage der Firma rechnen, doch  die überlegten es sich anders: ein Prozeß hätte erst richtig die Aufmerksamkeit auf das Buch gelenkt. Ich hatte Frankfurt inzwischen verlassen – das Frankfurt der 1970er Jahre war häßlich, heute wird die damalige Betonarchitektur wie das Technische Rathaus abgerissen – und war über Heidelberg nach Mannheim gelangt, eine Stadt, die nie in meinem Fokus war, in der ich dann aber 22 Jahre hängen geblieben bin. Ich war in festen Händen und heiratete 1981 meine Lebensgefährtin Jutta, kurz darauf kam unser Sohn Benjamin zur Welt (dem ich das Einrichten dieser Homepage verdanke, es lohnt sich also doch, das Kinderkriegen, liebe Leute). Ich arbeitete als Kritiker, Journalist, Autor und Lektor, für den Werkkreis, den damaligen Südfunk, den Mannheimer Morgen. 1989 kriselte unsere Ehe, 1990 Scheidung, ich blieb aber in Mannheim wohnen, um in der Nähe unseres Sohnes zu sein. Von 1988 bis 2001 war ich zudem Redakteur der „Feder“, dem Organ des  Landesverbandes der Schriftsteller Baden-Württembergs. Eine Scheidung ist teuer, ich fuhr ab 1990 zusätzlich Taxi, sieben Jahre lang. Wenn man glaubt, man kennt eine Stadt, in der man seit 15 Jahren lebt, dann erfährt man als Taxifahrer ganz andere Seiten. Es war wieder Stoff für einen Roman.
1997 heiratete ich Brigitte und zog zu ihr nach Frankfurt. In der Stadt am Main ging es mir immer gut, dort spielte auch die Eintracht, mein Verein. Nach neun Jahren war ich völlig eingebürgert, Benutzer in den drei großen Bibliotheken, Mitglied der Freunde des Palmengartens, im Vorstand der Literaturgesellschaft Hessen, Besitzer einer Museumsufer-Jahreskarte, Abo-Karte für den RMV, Eintracht sowieso. Doch da war noch was …
Dresden. Von Frankfurt war es näher als von Mannheim. Man bleibt ein Leben lang Dresdner, wenn man da geboren ist. Ich mußte zu Recherchezwecken oft nach Dresden fahren, als ich den Kakadu-Roman schrieb. Das jährliche Elbhangfest im Juni wirkte verführerisch: Meine Frau und ich, wir wollten beide nach Dresden. 2006 setzten wir unser Vorhaben in die Tat um. Ich habe inzwischen eine Abo-Jahreskarte für den VVO, Zoo-Jahreskarte, Museums-Jahreskarte, bin Mitglied bei den Dresdner Literaturnern… und es gibt kein anderes Ziel, das mich lockt. Hier will ich bleiben.